Reisereportage

Burma - Es ist nicht alles Gold, was glänzt

Ein Land zwischen traditionellem Buddhismus, bitterer Armut und verblüffender Lebensfreude

„Wir wünschen uns mehr Touristen. Jeder Besucher ist gut für unser Land“, so freundlich empfängt uns Thin-Thin* in ihrem kleinen Supermarkt. Das ist eine klare Aussage in einem Staat, der sich 1962, nach Übernahme der Regierung durch ein Militärregime, faktisch vom Rest der Welt abgeriegelt hat.

 

Gerade einmal 200.000 Besucher verloren sich im Jahr 2002 in Myanmar, das von seinen Bewohnern weiterhin Burma genannt wird. Über Burmas Bevölkerung gibt es nur ungenaue Zahlen, da seit dem Ende der britischen Kolonialzeit 1948 keine umfassende Volkszählung durchgeführt wurde. Neueste Zahlen sprechen von etwa 48 Millionen Menschen, von denen etliche noch keinen weißen Touristen gesehen haben dürften. Der größte Teil des Landes darf zwar mittlerweile mit einem Touristenvisum bereist werden, dennoch weichen nur wenige Besucher von den gängigen Routen zwischen der Hauptstadt Yangon, Mandalay, der alten Tempelstadt Bagan und dem Inle Lake ab.

 

Reisen in Burma ist beschwerlich, staubig und langwierig, aber immer spannend. Viele Regionen sind immer noch nur für Pauschalgruppen, die indirekt das Regime finanzieren, geöffnet oder gar nicht zugänglich, wie Teile des Shan State im Goldenen Dreieck, dem Grenzgebiet zu Laos und Thailand. Hier kämpfen ethnische Rebellengruppen gegen das Militärregime, und das Geld wird mit Opiumanbau verdient.

 

Dennoch: Burma ist ein faszinierendes, lebendiges Reiseziel, mit fröhlichen und lebensbejahenden Einwohnern, wunderschönen Frauen, winkenden Kindern an jeder Ecke, Jahrtausende alten Traditionen, unzähligen Pagoden und zahlreichen Plätzen, an denen Reisende innere Ruhe finden können.

 

Bereits am Flughafen von Yangon wird jedem Einreisenden bewusst, dass er sich auf dem knapp neunzigminütigen Flug weit von seinem Startpunkt Bangkok, der modernen thailändischen Metropole, entfernt hat: Direkt neben dem Rollfeld spielt ein kleiner Junge mit einer Katze. Auf der Taxifahrt in die Hauptstadt fällt der Blick automatisch auf die Shwedagon Paya, das Wahrzeichen Burmas. Die 98 Meter hohe Kuppel wurde bereits vom englischen Schriftsteller Rudyard Kipling als „ein goldenes Mysterium…, eine wundersame leuchtende Schönheit“ beschrieben. Wer den heiligsten Schrein der burmesischen Buddhisten zum Sonnenaufgang oder –untergang besucht, kann sich seinem Zauber nicht entziehen. Geschätzte 53 Tonnen Gold blenden und faszinieren den Betrachter gleichermaßen. Allein das „diamantene Auge“ des Hauptstupa ist mit 4.351 Diamanten besetzt, die Spitze bildet ein einzelner 76-Karäter. Eine unermessliche und nahezu irreale Pracht in einem Land, das zwar reiche Vorkommen an Edelsteinen, Teakholz, Öl und Erdgas besitzt, an deren Verkauf aber hauptsächlich die Militärmachthaber verdienen.

 

Die Bevölkerung, vor allem in ländlichen Gebieten ohne Tourismus, gehört zu den ärmsten Völkern der Erde. Im UN-Bericht über die Entwicklung der Menschheit von 1998 liegt Burma auf Rang 134 von 174 Staaten. Nur 74 Prozent der Einwohner haben Zugang zu sicherem Trinkwasser, die Kindersterblichkeitsrate liegt bei 7,9 Prozent (in Deutschland: 0,4 Prozent).

 

Trotz der schlechten wirtschaftlichen Voraussetzungen gibt es Beispiele, die Mut machen. „Meine Familie arbeitet Tag und Nacht, damit ich mein Jurastudium beenden kann. In zwei Jahren habe ich mein Examen, dann kann ich meine Eltern unterstützen“, sagt Shwe-Shwe* lächelnd. Fröhlichkeit und Herzenswärme sind unter diesen Umständen nicht unbedingt zu erwarten, dennoch bei nahezu allen Burmesen zu finden. Kämpfernaturen, die in ihrem starken buddhistischen Glauben und einer zum Teil parallelen Nat-Verehrung (nat: Geister) ruhen, stolz auf ihre Traditionen sind und trotzdem den Sprung in die Moderne wagen – wenn der Staat sie denn lässt.

 

„Wenn ich keine Arbeit als Juristin finde, werde ich die erste Taxifahrerin Burmas.“ Shwe-Shwes Lächeln ist zu einem lauten Kichern geworden. „Unsere Regierung wird es nicht schaffen, meine Familie klein zu kriegen.“ Mittlerweile ernst geworden deutet die 24-Jährige auf ihren Bruder Bao*, der als Koch im familieneigenen Restaurant arbeitet. Für einen hohen Lohn wurde er vom Besitzer einer Rubinmine angeworben. Mit fünf Freunden folgte er den Versprechungen des Chinesen ins Goldene Dreieck, wo sofort ihre Pässe eingezogen wurden. Drei seiner Freunde starben unter unmenschlichen Arbeitsbedingungen, einer Überdosis Heroin oder Malaria, daraufhin versuchte Bao, den „Job“ zu kündigen. Zur Strafe wurde er geschlagen, eingesperrt und mit Mord bedroht. Nach sechs Monaten gelang dem jungen Mann mit zwei Freunden die Flucht. „Wir haben in allen Dörfern, die wir passiert haben, vor dem Boss gewarnt. Wenn er hier noch einmal auftauchen sollte, ist er ein toter Mann“, sagt Bao mit ruhiger Stimme. Bei einem Blick in seine Augen wird schnell klar, dass dies keine leere Drohung ist.

 

Wie seine Schwester spricht der 26-Jährige nicht nur Englisch, sondern auch Französisch und sogar Japanisch – wegen der Touristen. Die Schulbildung in Burma sei schlecht, berichten die Geschwister, da der Staat Lehrern zu wenig Gehalt zahle. Wer lernen will, muss sich in privaten Abendkursen einschreiben, doch für einen Großteil der Bevölkerung ist dies unerschwinglich. Ein Studium können sich nur die wenigsten leisten, die Studiengebühren betragen umgerechnet 60 Euro für ein Semester. Aber selbst diejenigen, die diesen Betrag aufbringen, sind nie sicher, ob sie ihr Studium beenden können: Aus Angst vor umstürzlerischen Studentenprotesten waren die Universitäten von 1996 bis 2000 geschlossen, und auch im Jahr 2003 wurde der Betrieb an der Universität Yangon für drei Monate eingestellt.

 

Ob man in Europa über die Verhältnisse in Burma informiert sei, fragt uns am Inle Lake Deo*, eine 73-Jährige Frau, die aussieht, als ob sie auf die Hundert zugeht. Die Lebenserwartung burmesischer Frauen beträgt nur 60 Jahre (Männer 54 Jahre), und die Menschen altern schnell in einem Land, in dem 23 Prozent aller Kinder ab sechs arbeiten müssen. „Selbst in der englischen Kolonialzeit war alles besser als jetzt“, klagt Deo. „Wir hatten Geld, alle Kinder lernten Englisch in der Schule. Wir konnten unsere Meinung frei äußern und haben nie in Angst davor gelebt, auf der Straße verhaftet zu werden.“ Deo ist eine kleine, aber sehr zähe Frau, die sich nicht scheut, Besucher in politische Diskussionen zu verwickeln – was sich als gefährlich erweisen kann in diesem Land, in dem jeder Nachbar ein möglicher Spitzel der Regierung sein kann. „Ich bin zu alt, als dass man mich noch einsperrt, außerdem kenne ich unseren Dorfpolizeichef, seitdem er in die Windeln gemacht hat“, sagt Deo. „Aber meine gesamte Familie wurde verfolgt, nachdem mein Bruder sich geweigert hat, unter dem jetzigen Regime in die Armee zurückzukehren.“ Hoffnung für Burma habe sie nicht mehr, auch wenn die Oppositionsführerin Aung San Suu Kyi nach mehrjährigem Hausarrest freigelassen werden soll und „freie“ Wahlen angekündigt sind. „Daran glaube ich erst, wenn wir eine andere Regierung haben. Aber das werde ich wohl nicht mehr erleben.“ Eine weise Aussage, denn die burmesische Junta hat mittlerweile alle Fortschritts- und „Demokratie-“bemühungen auf Eis gelegt.

 

Sai*, ein 22-Jähriger Rikschafahrer aus Mandalay, schenkt uns eine Tasse starken burmesischen Tee ein. „Deutschland ist uns ein Vorbild. Die Menschen in der DDR haben ihre Regierung gestürzt, und wir werden es ebenfalls schaffen. Auch wenn es noch viele Jahre dauern wird.“ Wir sind in der Erwartung nach Burma gekommen, ein Land vorzufinden, in dem die Bewohner kaum Informationen über das Weltgeschehen erhalten. Aber Satellitenschüsseln gehören mittlerweile, trotz täglicher mehrstündiger Stromausfälle, zum Straßenbild, zumindest in den Städten und größeren Dörfern. „Vor vier Jahren waren wir noch völlig abgeschnitten von der Welt, aber jetzt erfahren wir viel durch das Fernsehen. Und es gibt sogar Radiosendungen auf Burmesisch, eine Übersetzung der BBC-Nachrichten“, sagt Sai. Erstaunlich, dass ein Regime, das unbedingt an der Macht bleiben will, so viel Informationsfreiheit zulässt. Das Schreiben von E-Mails ist zwar nur unter strenger staatlicher Zensur zugelassen, und kaum jemand kann sich einen Computer oder einen Internetzugang leisten. Aber es gibt immer mehr „Cybercafés“, die allerdings eher winzige Kellerverschläge sind, in denen ein Zugriff auf diverse internationale Websites möglich ist. Viele dieser Seiten sind gesperrt, aber selbst die allmächtigen burmesischen Machthaber sind nicht in der Lage, alle politischen Websites der Welt zu finden und auszuschließen.

 

Jeder Reisetag bringt erstaunliche neue Erfahrungen: Ein alter Mönch begrüßt uns in einem abgeschiedenen Kloster mit „Volkswagen happy, Daimler with Chrysler not lucky“. In Yangon werden internationale Zeitungen und der „Spiegel“ verkauft. Über Straßen, die vor 50 Jahren zum letzten Mal asphaltiert wurden und eher Schlaglochpisten mit einem steilen Abhang daneben gleichen, schlängeln sich im Kriechtempo moderne Busse mit Aircondition, Fernseher und Videorecorder. Auf der Reise ist kilometerweit keine elektrische Leitung zu sehen, dafür scheppert im nächsten Dorf Brian Adams in einer schrillen Asienversion aus schäbigen Lautsprechern. Nur wenige Minuten später fühlen wir uns um einhundert Jahre zurück versetzt: Ein Junge schläft am Straßenrand auf dem Rücken eines Büffels, ein alter Mann bestellt mit einem Ochsenkarren sein Feld. Eine Frau wäscht im dreckigen Flusswasser longyis (traditionelle, um die Hüfte geschlungene Wickeltücher), daneben badet eine Gruppe kreischender Kinder.

 

Burma, Land der Gegensätze: Wer sich darauf einlässt, liebt und hasst es. Burma macht fröhlich, aggressiv und traurig, man hört von furchtbaren Schicksalen und Erfolgsgeschichten. Burma zeigt auf, was wirklich wichtig ist im Leben, und wie gut es uns doch eigentlich im fernen Deutschland geht. Wer einen zweiwöchigen Urlaub machen will, ist hier falsch, aber wer eine völlig andere Kultur und auf eigene Faust Land und Leute kennen lernen will, der nehme sich vier Wochen Zeit, buche einen Flug nach Yangon oder Mandalay und tauche ein. Es lohnt sich.

 

„Der Gewinn eines langen Aufenthaltes außerhalb unseres Landes liegt vielleicht weniger in dem, was wir über fremde Länder erfahren, sondern in dem, was wir dabei über uns selbst lernen.“
Roger Peyrefitte (*1907), frz. Schriftsteller und Politiker

 

 

*alle Namen wurden zum Schutz der Personen geändert

 

 

 

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